Dieses schriftliche Interview geht auf ein Online-Gespräch mit Albert Mitringer im Rahmen des 9. CoMons der OeGeC am 6. Dezember 2021 (gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien) zurück. Wir sprachen über seine beiden Comics LILA (Luftschacht, 2017) und Requiem (Zwerchfell, 2021), über Reisen ins Weltall, Ritterspiele und (weniger) klassische Abenteuer. 

Die Fragen stellte Marina Rauchenbacher. 

LILA ist deine – sehr beindruckende – Diplomarbeit, die die abenteuerliche Reise eines misshandelten Kindes erzählt, das von zu Hause ausbricht und das All bereist. Wie bist du denn zu diesem Thema gekommen?

Das Thema und die Tragik der Protagonistin ist ursprünglich aus einer pragmatischen Entscheidung entstanden. Ich habe immer nur mit Bleistift gezeichnet, aber meine Verwandten haben mir trotzdem oft alle möglichen Werkzeuge wie Pinsel, Filzstifte, Buntstifte etc. geschenkt. Als ich dann angefangen habe, mich am Comic zu versuchen, wollte ich meine erste Geschichte so strukturieren, dass ich die angestaubten Ressourcen auch mal nutzen kann. Somit habe ich eine Figur gebraucht, die nicht zu lange an einem Fleck bleibt, die jung genug ist, um die Welt in verschiedensten Formen und Farben zu sehen und deren Wahrnehmung der Umgebung sich auch schnell mit bestimmten Erlebnissen ändern kann. Das Thema war eigentlich nur ein Aufhänger, doch je mehr Zeit ich mit der Arbeit verbracht habe, desto mehr ging es mir auch emotional darum zu zeigen, dass – egal wie weit man von gewissen Dingen wegläuft –, sie einen trotzdem einholen können, selbst bis in die Weiten des Weltalls …

LILA kommt fast ganz ohne Text aus, gänzlich ohne Erzähltext und Sprechblasen, und erfordert damit eine bestimmte Geübtheit im Lesen grafischer Narrationen – das kann durchaus herausfordernd sein. Warum dieser Verzicht auf Text?

Ähnlich wie die Beziehung zwischen Audio und Video im Film, sehe ich Text und Bild im Comic. Man kann die schönsten visuellen Erlebnisse fabrizieren, aber wenn der Ton/Dialog nicht passt, kann man das Endprodukt einfach nicht genießen. Umgekehrt hingegen kann man interessanterweise ein hässliches Bild verzeihen, wenn der Rest Meisterklasse ist. Aus diesem Grund wollte ich aus Respekt gegenüber dem Text erst einmal Bild in einer Narration beherrschen und mich anschließend in einem neuen Projekt dem Geschriebenen zuwenden.

Die Hauptfigur von Requiem ist ein toter Ritter. Das Rittergenre flackert – z. B. in diversen Hollywoodfilmen – zwar immer wieder auf, hat aber derzeit keine spezifische Aktualität. Warum hast du dich für dieses Thema entschieden?

Der Grund hierfür ist in den alternativen Medien der Videospiele und Pen and Paper-Rollenspiele zu finden. Ich habe fast drei Jahre durchgehend den Game-Master gemacht für eine Dungeons and Dragons-Gruppe. Dadurch sind wahnsinnig viele Ideen für Szenarien, Charaktere und Plot Points zusammengekommen, die zwar in unserer Kampagne keinen Platz hatten, ich aber in Requiem verarbeiten wollte. Zusätzlich habe ich 2018 endlich Dark Souls (ein düsteres Mittelalter-Videospiel aus Japan) durchgespielt und die zahlreichen Eindrücke hatten ebenfalls einen großen Einfluss auf mich. Allem voran in dem Bedürfnis, keinen Menschen als Protagonist zu haben, sondern ein ‚Monster‘.

Beide Comics arbeiten mit nicht-menschlichen, vielleicht posthumanen Figuren und stehen damit in einer langen Comictradition – man denke an das Superheld*innen-Genre. Was ist für dich das Spannende daran? 

Ich finde für gute Beobachtung braucht es meistens ein gewisses Maß an Distanz. Ein menschenverachtender Dämon, der insgeheim Buchliebhaber ist. Eine Vampirin, die daran glaubt, dass gesunde Menschen eine gesunde Welt bedeuten und ein Alien, das in seiner Einsamkeit Zuflucht bei einer anderen Spezies sucht. Viele meiner Charaktere sind technisch gesehen nicht wirklich Menschen. Das macht sie aber sehr effektiv darin, Aspekte von Menschlichkeit spielerisch zu beleuchten.

Was LILA und Requiem auch verbindet, sind Elemente des Abenteuergenres, ohne dass die beiden Comics in eine bestimmte Schablone eingepasst werden könnten. Du spielst mit der Idee der heroischen Abenteuererzählung, brichst sie. So ist beispielsweise nicht immer klar, auf welcher Ebene das Geschehen angesiedelt ist, das heißt, wie ‚real‘ oder ‚glaubwürdig‘ das Erzählte ist, ob es sich um Träume oder Halluzinationen handelt. Was reizt dich an diesem Genre-Spiel? 

In klassischen Abenteuern ist es oft so, dass der*die Held*in total clever und den Leser*innen einen Schritt voraus ist, um anschließend absolute Exposition für die Handlung zu bieten. Zwar gibt es auch in meinen Geschichten ganz klassisch Szenen und Situationen, in denen die Hauptfigur einen sicheren und guten Überblick über die Situation hat, aber ich wechsle sie gern mit Geschehnissen ab, in denen meine Figuren (und manchmal auch der*die Leser*in) total überfordert sind. Das was der*die Protagonist*in zu wissen glaubt, ist nicht immer wahr und ich finde die Informations-Diskrepanz zwischen den Leser*innen und den Charakteren sehr spannend. Wenn man erkennt, dass die Figuren selbst oft etwas nicht mitkommen, beginnt man aktiver beim Lesen mitzudenken. Ein gutes Maß an Ambivalenz kann ein wahrer Segen für die Fantasie sein. Es sind ja die Fragen in unserem Kopf, die uns zu abstraktem Denken auffordern und die Möglichkeit geben, selber Interpretationen des Geschehens anzustellen. Im Grunde will ich damit die Leser*innen zu Erzähler*innen emanzipieren.

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